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Die Täuschung

Den vorigen Abend war ich extra früh ins Bett gegangen, um fit für den Geburtstag meines Bruders fit zu sein. Wir wollten ins Roadstop und da freute ich mich schon drauf.
Als es um halb Acht Sonntag morgens an meiner Tür klingelte, stolperte ich trotzdem schlaftrunken zur Tür und öffnete. Von unten klangen laute Schritte die 72 Stufen den Hausflur hinauf und eine Tür fiel ins Schloss. Ich wartete eine gefühlte Ewigkeit und war mittlerweile hellwach. Wieso hab ich denn aufgemacht? War das etwa D? Oh Gott, was tu ich dann?
Ich ging zum Treppengeländer und schaute die Stufen hinab. Der Umriss einer großen, sehr breit gebauten Person war zu sehen. Das konnte nicht D sein. Glück gehabt!
Ich schlurfte in die Wohnung zurück und wartete auf den Ankömmling. Es war A, der ehemals beste Freund von D. Er war, nachdem wir uns getrennt hatten, ein guter Bekannter geblieben und wir hatten uns noch einige Male getroffen. Der Kontakt hatte sich aber im Laufe der Monate und auch durch meine neue Beziehung verlaufen.
"Was machst du hier?", fragte ich verwundert. Erst jetzt erkannte ich, dass er stark an der Hand blutete und wich erschrocken zurück. Er roch nach Alkohol und schwankte.
"Wir haben Party bei S gemacht, weil ich Geburtstag hatte", lallte er. Jetzt fiel mir ein, dass er tatsächlich einen Tag vor meinem Bruder an der Reihe war.
"Scheiße, hast Recht", entschuldigte ich mich schnell, " alles Gute nachträglich!"
Er lehnte sich an die Tür und schwankte erneut.
"Woher haste die Wunde?", wollte ich wissen und zeigte auf seine Hand. Das Blut hatte mittlerweile eine kleine Pfütze gebildet.
"Ach, von der behinderten Wand," tat er ab und Tränen schossen in seine Augen. Er sah sie sich näher an. Sie war komplett aufgeplatzt und das Fleisch guckte aus dem Riss heraus. Es sah schrecklich aus.
"Ich hab Schulden und muss wieder ins Gefängnis", lachte er ironisch. "Ich hab sowas von mein Leben verschissen. Ich hab gestern Geburtstag mit meiner Schwester und ihrem Freund gefeiert,  weil keiner sonst dran gedacht hat. Nicht einmal D, der Penner. Und du auch nicht. Aber du hast jetzt ja deinen sportlichen Freund. Wie soll ich da mithalten?
Ey, du warst immer meine Nummer Eins. Du warst es schon immer! Wenn du wüsstest, was ich jetzt am liebsten mit dir machen würde. Ich würde dich nehmen und... aber du hast ja deinen Freund. Wieso hast du damals D genommen? Wieso nicht mich? Was hat er was ich nicht habe? Du warst immer die Nummer Eins."
War das jetzt ein Liebesgeständnis? War A tatsächlich verliebt oder einfach nur besoffen? Er hatte mir doch oft gesagt, dass ihm meine Nase zu groß sei und ich nicht singen kann und soviel Kritik geübt. Wie kann er jetzt so etwas sagen?
"Du bist total betrunken", schimpfte ich mit ihm und wich aus dem Türrahmen, um ihm zu signalisieren, dass ich zurück in die Wohnung wollte. "Du sollst sowas nicht sagen, wenn du betrunken bist. Wir können gerne heute Abend nüchtern darüber sprechen, vorausgesetzt du siehst es bis dahin immer noch so."
Er machte einen Schritt auf mich zu und fiel dabei beinah um. "Kannich aufs Klo?"
Ich zögerte. Ich wollte nur, dass er geht. Die Situation war mir unangenehm und er roch widerlich. Trotzdem ließ ich ihn auf die Toilette. Er hatte mich bei der Trennung von D schließlich auch unterstützt, daher musste ich ihm jetzt ein Freund sein.
Moment, wieso hatte er mich eigentlich unterstützt seinen besten Freund zu verlassen? Wieso war er danach für mich da und nicht für ihn?
Plötzlich fielen mir viele merkwürdige Dinge ein: Er hatte mir häufiger erzählt, dass er von mir geträumt hatte und hat dabei immer verschwiegen was genau. Oft hatte er mir auch Komplimente gemacht, die ich kaum wahrgenommen hatte. War also an dem, was er jetzt ausgesprochen hatte etwas dran? Ich verlor mich in meinen Gedanken und merkte langsam, dass ich auch noch ziemlich müde war. Hoffentlich ging er bald.
Ich hörte die Spülung nicht und plötzlich stand A vor mir. Seine Augen waren weit aufgerissen und er hatte einen manischen Gesichtsausdruck. Ehe ich wusste, wie mir geschah, packte er mich am Hals und hob mich mit einer Hand hoch Richtung Bett.
Es schnürte mir die Luft ab, als er mich aufs Bett warf und sich auf mich setzte. Ich bekam keinen Ton raus und plötzlich war in meinem Kopf nur ein einziger Gedanke: Ich sterbe! Scheiße, ich sterbe!
Er hatte mittlerweile beide Hände an meinem Hals und drückte zu so fest er konnte. Seine Augen quollen aus den Höhlen. Mir wurde schwindelig. Ich will nicht sterben!
Ich holte so tief Luft, wie ich konnte und schrie. Aus Leibeskräften drückte ich jedes Luftatom nach draußen und schrie: "BIST DU BEHINDERT?????" Immer und immer wieder.
Dabei fing ich an zu treten und mit den Armen zu zappeln. Ich hatte keine Chance und fühlte mich immer schwächer. Sein massiger Körper saß auf mir. Es widerte mich an. Wie konnte er mir so etwas antun? Er wird seinen Willen nicht mit Gewalt bekommen!
Ich weiß nicht wie lange ich kämpfte. Vielleicht wenige Minuten, aber es hätte auch eine halbe Stunde sein können. Ich verlor jedes Zeitgefühl.
Plötzlich lockerte sich sein Griff. Als hätte sich ein Schalter umgelegt, schaute er mich vollkommen verwundert an, sprang auf und rannte um die Ecke den Hausflur hinab.
Ich sog gierig die Luft ein und rappelte mich benommen auf. War er weg? Ich ging vorsichtig zur Tür. Sie war die ganze Zeit offen gewesen. Wieso hat mich denn keiner gehört?
Ich sank zu Boden und fing an zu weinen. Alles tat mir weh und ich fühlte mich wie ein schmutziger, ekelhafter Fleck auf dem Boden.
Ich zitterte am ganzen Leib. Ich war unsicher, ob das die Realität war. War das wirklich passiert? War ich wirklich hier? Alleine? WIeso hilft mir denn keiner? Wieso bin ich immer alleine?
Meine Gedanken überschlugen sich. Ich ekelte mich so sehr vor mir selbst, dass ich mich übergeben musste. Ich bin nichts... ich hab das verdient.

In den folgenden Stunden war ich vollkommen durcheinander. Ich rief die Polizei und zeigte A an. Er hatte seine Kappe beim Weglaufen verloren und ich konnte sie den Beamten mitgeben. Nach über 20 Minuten waren sie bei mir und nahmen ziemlich mürrisch meine Anzeige auf. Sie sind schlecht drauf, weil ich sie wegen so einer Kleinigkeit gerufen habe.
Ich kreierte noch ein paar Cupcakes aus Schoko für meinen Bruder und machte mich auf den Weg. Mama hatte mir schließlich am Telefon gesagt, dass ich ihm nicht den Geburtstag versauen dürfe. Mein Hals war angeschwollen und meine Arme voller blauer Flecken, aber ich benahm mich wie erwartet und redete nicht mehr drüber.
Auch abends bei meinem Freund behielt ich meine Scham und meinen Ekel für mich. Er hatte seine Freunde eingeladen und ich sollte ihm das Treffen gönnen. Schließlich durfte ich schon uneingeplant überhaupt da sein.
Nachts konnte ich kaum schlafen. Ich wälzte mich hin und her und war unruhig und voller Angst.
Du hast schon so viel mitgemacht, dann schaffst du das auch. Du bist selber Schuld! Mama sagt, du hättest ihn nicht reinlassen dürfen. Das war deine eigene Schuld und du hast es verdient.

Am Montag ging ich in die Schule. Ich erzählte den Mädels von dem Vorfall, allerdings sparte ich die schlimmen Details auf. Ich wollte nicht, dass sie sich auch vor mir ekelten. Ich redetet darüber, als sei es ein kleines Missgeschick.
"Dass du da so sachlich drüber reden kannst", staunte Y, "Und du gehst einfach wieder zur Schule? Geht's dir denn gut so?" Auch Z konnte es kaum glauben. Ihr aggressiver Ton nahm mal wieder überhand: "Dieser Penner! Warte, bis wir den sehen!"
Ich grinste und wunderte mich nun auch über meine Reaktion. Aber vielleicht verkraftete ich es einfach gut.
Nachmittags ging ich zum Arzt. Er fotografierte meine Wunden und Flecken und nahm einen Bericht auf. Als er mich bat darüber zu reden, brach ich in Tränen aus: "Ich hatte Todesangst. Ich dachte ich würde sterben." Ich nuschelte es in mich hinein, weil ich mich viel zu sehr schämte alles laut auszusprechen. Was würde der Arzt von mir denken, wenn ich ihm alles erzählen würde?
Doch wider Erwarten nickte er mir zu: "Sind solche Vorfälle schon öfter passiert?" Ich nickte und dachte an D: Gewalt war mir leider nicht fremd.
"Wir haben ein internes Netzwerk mit Ärzten und Therapeuten. Glaubst du, es wäre für dich eine Alternative eine Psychotherapie zu beginnen?"
Ich blickte auf. "Ja, ich suche schon seit Monaten nach einer Therapeutin", meinte ich eilig.

© Bianca

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