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Schlussstrich

"Du weißt, dass es nicht gut für dich ist; guck dich mal an!"
Ich saß verbittert mit O auf der Parkbank auf dem kleinen Platz direkt vor meiner Wohnung und leckte an einem Wassereis.
Ich hatte sie angerufen, weil ich wieder einmal Angst hatte nach Hause zu gehen.

Die Sonne lachte. Es kam mir vor wie ein höhnisches Lachen, wenn ich an meine Situation dachte. Es war ein wunderschöner, warmer Herbsttag und ganz Dortmund war auf den Beinen, um ihn zu genießen - nur ich schien kein Recht dazu zu haben.
Ich nickte betroffen und drehte das mittlerweile fast geschmolzene Eis in meinen Händen. Ich wusste, dass es ein Ende geben musste. Aber ich hatte Angst. Zu diesem Zeitpunkt war mir nicht klar, wieso ich so unfassbar große Angst hatte, aber sie schnürte mir die Kehle zu und machte mich benommen.
"Bibi, du bist so stark ohne ihn. Schick ihn weg! Sag, dass er ausziehen soll. Das alles ist es nicht wert!" O sagte dies wahrscheinlich zum hundertsten Mal.
Ich zitterte und mir liefen Schauer über den Rücken. Mein Magen rumorte.
"Ok, ich werde es tun," murmelte ich.
"Wow, so viel Tatkraft nehm ich dir ja kaum ab", lachte O. Ich grinste. Sie hatte Recht, ich war müde geworden. Über ein Jahr kämpfte ich nun schon um unsere Beziehung. Ich hatte viel zu viel eingesteckt, aber wollte nach allem einfach nicht aufgeben. Aber wenn ich so weitermachte, würde ich den Boden unter den Füßen verlieren. Und mich selber auch - wenn ich das nicht längst schon hatte.
Ich stand auf und schaute O mit Tränen in den Augen an: "Kannst du dein Handy laut machen? Ich geh jetzt hoch und schmeiß ihn raus. Darf ich danach anrufen?"
Verblüfft hob sie ihre Augenbrauen. "Klar! Soll ich mitkommen? Brauchst du Hilfe?"
"Nein, ich hab mich da alleine reingestürzt und werde auch alleine wieder rauskommen. Es ist meine Schuld, dass alles so ist, wie es ist." Plötzlich war ich wild entschlossen. Ich würde mich befreien!
O nickte und nahm mich in den Arm: "Du bist so viel mehr wert..."
Ihre poetischen Sprüche gaben mir Kraft und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ich schmiss mein Eis weg, meine Hände waren schon total klebrig, aber ich kriegte keinen Bissen runter. Erneut schüttelte es mich.
Wie würde er reagieren? Es war ja nicht das erste Mal, dass ich ihn bat zu gehen. Aber diesmal WOLLTE ich es auch so. Ich wollte, dass er geht und nicht mehr wiederkommt. Ich musste es tun.
"Danke", flüsterte ich O zu und drehte mich um. Ich durfte nicht zu lange warten, sonst war meine Angst wieder größer, als die Überzeugung, dass dies das richtige sei.

Ich kam außer Puste oben an. Der Fernseher war an und es roch nach kaltem Qualm. D hatte was am Magen und lag seit gut einer Woche deshalb auf der Couch. Ich musste nach der Arbeit also jeden Tag den Haushalt schmeißen. Die Wäsche stapelte sich überall, weil wir keine Waschmaschine hatten. Er war wohl länger nicht bei seinen Eltern gewesen.
Jede Zelle meines Körpers war angespannt. Mir war eiskalt, obwohl es in der Wohnung direkt unterm Dach wahrscheinlich 25 Grad war.
"Los!", flüsterte ich mir zu und ging den schmalen Flur entlang zum Wohnzimmer. Dort sah ich die Löcher im Paket und die Dellen an der Wand. Ich hatte es viel zu weit kommen lassen.

Mein Herz raste.
"Ich muss mit dir reden", sagte ich und setzte mich im Schneidersitz auf die rote Couch. Nervös fingerte ich nach einer Zigarette und zündete sie an.
"Was willst'n? Ich hab doch gesagt, ich bin krank. Ich kümmer' mich danach um die Bewerbung", knurrte D und sah dabei nicht einmal vom Fernseher weg. Ich schaltete ihn aus und fing mir dafür einen vernichtenden Blick ein.
"Alter, verarsch mich jetzt nicht", ging er mich an und ballte seine Hände zu Fäusten. Er war heute offenbar besonders reizbar.
"Ich verarsch dich nicht. Ich möchte, dass du mir zuhörst. Es ist super ignorant, wenn du dabei nicht einmal meinen Blick erwiderst." Ich versuchte ruhig zu bleiben, aber meine Stimme zitterte.
"Super ignorant; wenn ich so ein Gelaber schon höre..." Er verdrehte die Augen.
"Ich möchte, dass du gehst." "Was?" "Ich möchte, dass du endgültig ausziehst." Er schaute mir nun das erste Mal richtig ins Gesicht. Plötzlich lachte er. "Als ob du mich hier so krank rausschmeißt." "Genau das tu ich gerade. Bitte geh!"
"Jetzt komm schon, was ist denn plötzlich los?", fragte er nun auf einmal verunsichert. Er schien zu merken, dass ich es ernst meinte.
"Plötzlich? Das ist ja wohl ein Witz, oder?" Die Wut verdrängte jetzt meine Angst. "Seit Monaten lügst du mich dauernd an, du trinkst viel zu viel und zu häufig, wirst dauernd gekündigt oder gehst einfach nicht mehr arbeiten. Du nimmst heimlich Drogen und beklaust mich - ich halte das nicht mehr aus! Ich habe dir das alles so oft gesagt, ich wollte mit dir reden, dir helfen und ich hab dich unterstützt wo ich nur konnte. Aber du willst offensichtlich so leben und das kann ich einfach nicht."
Plötzlich überwältigte mich Trauer. Ich nahm einen tiefen Zug von der Zigarette. Ich würde alleine sein. Ich würde klar kommen müssen. Wie sollte ich das alles durchhalten so ganz alleine? Eigentlich war er doch ein guter Mensch. Ihm ist nur viel Böses widerfahren und ich behandelte ihn nun auch schlecht.
Aber er hat mich geschlagen. Er hat mich belogen, beklaut, bedroht ... Er war nicht gut. Ich musste es tun. Ich aschte ab und atmete lange aus.
Er stand auf und ich zuckte automatisch zusammen: "Hör auf, immer so zu zucken das nervt total. Ich pack meine Sachen. Du wirst es bereuen." Ich weinte. "Es tut mir Leid." "Halt's Maul!"
Er nahm seine kaputte Sporttasche und stopfte alles rein, was er hatte. Er würde laufen müssen, weil er das Geld für sein Sozialticken versoffen hatte. Aber das war sein Problem.


Als er ging schaute er nicht zurück und ignorierte meine Tränen. Ich drückte die Zigarette aus und öffnete das Fenster. Die Sonne schien rein und Licht durchflutete den verqualmten Raum.

© Bianca

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